Nicht vielen Firmen und Institutionen ist es vergönnt, nicht nur 300 Jahre lang zu existieren, sondern auch während einer so langen Zeit «first» in ihrem Metier zu sein. Dass der Name «Joachim Raff» in diesem Jubiläumsjahr beim Verlag Breitkopf & Härtel oft fällt, freut uns ausserordentlich.
Res Marty, Yvonne Götte, Severin Kolb (v. l. n. r.) am Festkonzert von Breitkopf & Härtel 26.1.2019, copyright: Christian Kern
«First in music» – diese Rolle nahm der traditionsreiche Verlag auch in Joachim Raffs Leben ein. Am 20. November 1843 erhielt Breitkopf & Härtel folgende Zeilen von keinem Geringeren als Felix Mendelssohn Bartholdy, einem der erfolgreichsten Komponisten seiner Generation: «Beiliegenden Brief und beiliegende Compositionen habe ich empfangen und kann nicht umhin Ihnen beides vorzulegen und Sie zu fragen, ob Sie nicht etwas von den Sachen brauchen und so den Wunsch des Componisten und den meinigen erfüllen könnten? Stünde auf dem Titel der Sachen ein recht berühmter Name so bin ich überzeugt Sie würden ein gutes Geschäft damit machen, denn aus dem Inhalt würde gewiss keiner merken dass manches dieser Stücke nicht von Liszt, Döhler oder einem ähnlichen Virtuosen wäre. Alles ist durchaus elegant, fehlerlos, und in modernster Weise geschrieben; aber nun kennt niemand den Namen des Componisten und da ist freilich die ganze Lage der Dinge anders.» Auf den besagten Werken prangte der Name eines 21-jährigen Schulmeisters aus Lachen am Oberen Zürichsee: «Joachim Raff».
Mendelssohn stiess auf Seiten des Verlags, der in der Folge Raffs opp. 2-14 in den Stich gab, trotz der Bedenken wegen des unbekannten Namens nicht auf taube Ohren (Opus 1 erschien bei Johann André in Offenbach auf Vermittlung des mit Raff befreundeten Sängers Anton Curti). Leider machte Breitkopf & Härtel, wie Mendelssohn bereits befürchtete, in der Folge tatsächlich kein sonderlich «gutes Geschäft» mit Raffs Werken, da sich diese nur schleppend verkauften. Auf folgende Anfragen Raffs bezüglich der Publikation von weiteren Werken konnte der Verlag nicht eingehen.
Als der im Laufe der 1860er und 1870er Jahren zu den meistgespielten Komponisten seiner Zeit avancierte Raff 1875 einen Beitrag für das von Friedrich Müller von der Werra herausgegebene und von Breitkopf & Härtel publizierte «Allgemeine Commersbuch» beisteuerte, nahm der Verlag den Kontakt wieder auf: «Wir mögen diese Veranlassung [die Zusendung eines Belegexemplars] nicht vorüber gehen lassen, ohne Ihnen auszusprechen, dass es uns aufrichtig Leid ist seit so langer Zeit kein Werk von Ihnen verlegt zu haben. Wir hatten ja die Ehre Ihre ersten Werke hinauszuschicken, diese Werke haben sich damals nicht die Bahn gebrochen und auch jetzt, wo viele Ihrer Compositionen freundlich aufgenommen worden sind, ist keine Nachfrage nach jenen ersten Werken entstanden. Das Verlegen von Erstlingswerken pflegt gemeiniglich für ein späteres gutes Verhältnis nicht günstig zu wirken, und wir haben als Inhaber einer alten umfänglichen Verlagshandlung, an die man sich leicht zuerst meldet, vielfach darunter zu leiden.» (Brief an Raff vom 5.4.1875, BSB, Raffiana VIII). Über den französischen Verleger Jacques Maho erfuhr der Verlag, dass Raff seine zuvor bei Breitkopf & Härtel erschienen Jugendwerke überarbeiten wollte. In der Folge erschienen Neufassungen von den opp. 2-6, 9-10, 12, sowie 14, die Raff weitgehend neu komponierte. Auf den Wunsch des Verlages, deutsche Überschriften zu verwenden, ging Raff nicht ein, um die Verwurzelung dieser Salonstücke im französischen Stil nicht zu verschleiern.
Mit der Konzertante «Die Tageszeiten» op. 209, dem Liedzyklus «Blondel de Nesle» op. 211 (beide auf Texte von Raffs Tochter Helene) und dem Oratorium «Welt-Ende – Gericht – Neue Welt» op. 212 erschienen jedoch auch mehrere von Raffs späten Schlüsselwerken bei Breitkopf & Härtel. Auf die Ankündigung Raffs, dass er an einem Oratorium arbeite, reagierte der Verlag beispielsweise mit grossem Interesse: «Mit Spannung sehen wir dem Oratorium entgegen. Es ist das ein hoch bedeutendes Werk von dem Sie da uns die erste Mittheilung machen. Weltende; Gericht; Neue Welt, das sind so ungefähr die grossartigsten Themen, die sich ein Componist vorsetzen kann, und es muss deshalb unser herzlicher Wunsch sein, unseren Namen mit dem Ihren bei diesem Werk zu verbinden» (Brief an Raff vom 28.04.1881, BSB Raffiana VIII) – was dann auch geschah. Wenige Monate nach der Uraufführung des Oratoriums verstarb Joachim Raff am 24. Juni 1882 im Alter von sechzig Jahren unerwartet. Breitkopf & Härtel scheint auf bestem Weg gewesen zu sein, neben C. F. W. Siegel Raffs neuer Hauptverleger zu werden.
Es freut uns daher sehr, dass sich Breitkopf & Härtel Raff wieder zuwendet und eine grössere Reihe seiner Werke in «Urtext»-Ausgaben auf den Markt bringt. Im Verlagsleiter und geschäftsführenden Gesellschafter Nick Pfefferkorn fand man einen Raff-Freund. Bereits am 13. Februar 2018 fand ein erstes Treffen mit ihm in Zürich statt, wo die Grundsteine zu einer engen Kooperation gelegt wurden. Im September letzten Jahres referierte Nick Pfefferkorn an der Tagung zur Eröffnung des Joachim-Raff-Archivs; der Tagungsband wird die bei Breitkopf & Härtel erscheinende Schriftenreihe des Archivs eröffnen.
Mittlerweile ist der von Prof. Dr. Ulrich Mahlert (Berlin) herausgegebene erste Band der neuen Raff-Edition – pünktlich zum Beginn des Jubiläumsjahrs – erschienen, der die beiden schon damals von Breitkopf & Härtel herausgegebenen Versionen der Sonate op. 14 sowie die «Fantasie-Sonate» op. 168, die Raff kurz nach Ende des Deutsch-Französischen Krieg Camille Saint-Saëns gewidmet hat, enthält. Die ersten beiden Streichquartette Raffs, herausgegeben von Stefan König und Severin Kolb, folgen bald. Sie eröffnen eine grössere Reihe an kammermusikalischen Werken Raffs.
Am wundervollen Jubiläumskonzert im Wiesbadner Casino am 26. Januar, zu dem eine Delegation der JRG (siehe obiges Bild) eingeladen wurde, standen nebst einer Uraufführung von Christian Mason mehrere Verkaufsschlager des Verlags aus dem 19. und 20. Jahrhundert auf dem Programm, darunter auch Mendelssohns Violinkonzert. Klar erkennbar stand dieses überaus einflussreiche Konzert von Raffs «Wohltäter» Pate für dessen eigenes Cellokonzert Nr. 1 op. 193 in d-Moll.
Bei einem Besuch beim Verlag zu Beginn des Monats März wurde die Zusammenarbeit konkretisiert, gerade auch in Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2022 – man kann gespannt sein! Wir gratulieren dem Verlag ganz herzlich zum Jubiläum, freuen uns sehr auf die weitere Zusammenarbeit und hoffen ebenso wie damals Mendelssohn, dass Raff dem Verlag nun endlich ein «gutes Geschäft» ermöglicht!