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Ein «französisches» Werk? Joachim Raffs drittes Klaviertrio op. 155

von | 26 Mrz, 2019 | Zeitkapsel

Titelblatt des sich im Joachim-Raff-Archiv befindlichen Erstdrucks. 

Am Samstag, dem 30.03.2019, feiert die Joachim-Raff-Gesellschaft den 200. Geburtstag von Clara Schumann, die von Raff als Klavierlehrerin an das Hoch’sche Konservatorium berufen wurde. Im Festvortrag wird Frau Dr. Annegret Rosenmüller, die bei der Schumann-Briefausgabe arbeitet, das Verhältnis zwischen Raff und der berühmten Pianistin und Komponistin erläutern. Beim anschliessenden Konzert kommt neben Clara Schumanns Klaviertrio auch der dritte von Raffs Beiträgen zu dieser Gattung zu Gehör. Wem die Informationen des Programms nicht genügen, findet an dieser Stelle eine ausführlichere Fassung zur Entstehungsgeschichte und zu den Charakteristika dieses faszinierenden Werks:

Nach dem Erfolg seiner Sinfonie Nr. 3 op. 153 mit der Überschrift «Im Walde», die Joachim Raff zum meistgespielten Sinfoniker der Zeit machte, waren seine Werke heiss umworben. Die erhaltenen Briefe Raffs an den Verlag Bote & Bock (Staatsbibliothek Berlin) erlauben einen wichtigen Einblick in seine Arbeitsweise, in seine Geschäftsbeziehungen und das Seilziehen der Verleger um seine Kompositionen. Auf eine nicht erhaltene Anfrage des Berliner Verlags Bote & Bock, der zu diesem Zeitpunkt bereits an der Herausgabe von Raffs Oper «Dame Kobold» op. 154 arbeitete, bietet Raff am 5. Juli 1870 dem Empfänger statt des gewünschten dritten Trios [op. 155] ein viertes [op. 158] an, an dem er gerade sitze. Denn Raff hatte dem Leipziger Verleger Robert Seitz, der kurz zuvor sein Geschäft in Leipzig eröffnet hatte, versprochen, ihm ein grösseres Werk zu überlassen. Eine strategische Entscheidung: Weil Seitz auch die Leipziger Geschäfte der Verlage Rieter-Biedermann (Winterthur) und Jacques Maho (Paris) besorgte, wollte Raff diese Beziehung nicht gefährden und die Wünsche dieses Verlegers erfüllen. Da Seitz dieses Werk bis im September gedruckt haben wollte, konnte nur das bereits vollendete dritte Trio in Frage kommen.

Auf die weiteren Erkundungen Bocks über die Trios berichtete Raff drei Tage später über die Erfolge des zweiten Trios (op. 112), das «ziemlich abgespielt» sei, dass das dritte demnächst geprobt und das vierte in spätestens 14 Tagen fertig werde. In diesem Brief gibt uns Raff auch einen der wenigen Einblicke in seine Arbeitsweise: «Dass ich, wenn einmal im Zuge, und in eine bestimmte Stylweise fest und warmgearbeitet, mich mit einem Werke nicht zufriedengebe, liegt in der Natur der Sache. Keineswegs aber arbeite ich auf Bestellung, einmal weil ich es nicht nöthig habe, dann aber, weil ich mir nicht gern Gewalt anthue.» Die beiden Trios Op. 155 und Op. 158 bilden denn auch tatsächlich ein kontrastierendes Werkpaar.

Mit dem Vorschlag, das dritte Trio gemeinsam mit Maho herauszugeben, konnte Bock Raffs anfängliche Bedenken offensichtlich abwenden: Robert Seitz erhielt das vierte Trio. Am 9. September 1870 berichtete Raff Bock, dass sich das dritte Trio seit vorigem Monat in Leipzig bei Röder im Stich für Maho befinde, welcher dem angebrochenen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland «zum Trotze» nicht von der Edition von Raffs neuer Kammermusik ablassen wolle. Die Pariser Ausgabe mit der französischen Überschrift «Troisième Grand Trio» sowie die «Humoreske in Walzerform» op. 159 konnte Raff am 26. November an Bote & Bock unter der Bemerkung «Beide Werke nicht von schlechten Eltern!» einsenden.

Vermutlich war es den Kriegswirren sowie der sich verzögernden Herausgabe von Raffs Oper «Dame Kobold» zuzuschreiben, dass die Publikation des Trios aufgeschoben wurde. Erst am 18. August 1871 schickte Raff den Verlagsschein zurück und bestätigte die Verlagsrechte. Während Bote & Bock das Werk 1872 herausbrachte, liess die Einigung mit Jacques Maho länger auf sich warten: Noch 1875 schreibt dieser, dass er weitere Kammerwerke von Raff veröffentlichen wolle. Während er mit der Publikation von Streichquartetten «eher Ruhm als Geld» verdienen könne, hätte er die Trios zu einem günstigeren Preis längst übernommen und damit zu ihrer Verbreitung in Frankreich beitragen können. Robert Seitz, der sich nicht auf internationale Beziehungen zu einem Kriegsfeind einlassen musste, konnte schneller agieren: Das vierte Trio op. 158 erblickte den Markt deutlich vor dem dritten. Raffs Geschäftsbeziehungen zu Bote & Bock und zu Robert Seitz wurden bald schon getrübt – in seinen letzten Lebensjahren publizierte er vor allem bei C. F. W. Siegel sowie Breitkopf & Härtel.

Zur Widmungsträgerin des Werks hat Raff die zu jener Zeit überaus populäre böhmisch-französische Pianistin Wilhelmine Clauss-Szarvady auserkoren, die in Paris wie in London grosse Erfolge feierte. Die Zusendung des Werks traf die Künstlerin bettlägerig, wie sie in einem Dankesbrief an Raff vom 11. Oktober 1871 beschreibt: «Ich habe eben auch ein neues Opus hinter mir: ich bin um ein kleines Mädchen reicher.» In der laufenden Saison spielte sie in einer ihrer einflussreichen Kammermusiksoiréen zwar die ersten beiden Violinsonaten Raffs mit Hubert Léonard, dem Widmungsträger der fünften Sonate. Ob sie das Trio, das sie als «höchst gelungenes Opus» bezeichnet, jemals aufführte, ist nicht bekannt.

In seiner ausführlichen, euphorischen Analyse des Trios im «Musikalischen Wochenblatt» (Jg. 3, Nr. 22, 24. Mai 1872, S. 340-342) verknüpft Wilhelm Freudenberg den  französischen Titel des Werks und die Widmung an Clauss-Szarvady mit den «französischen Anklängen in Themen des ersten und letzten Satzes». Für die Neuauflagen von seinen bei Breitkopf & Härtel erschienenen Jugendwerken für Klavier bestand Raff wegen ihrer Faktur auf die französisch gehaltenen Überschriften. Im Falle des Trios scheint hingegen fraglich, ob die französische Überschrift und die Widmung an Clauss-Szarvady nicht vielmehr aus pragmatischen Gründen durch die Maho-Edition zustande kam.

Das Werk besteht aus den üblichen vier Sätzen: Der Kopfsatz beginnt mit einer vierzehntaktigen Passage, «Quasi a capriccio» überschrieben, die in ein daraus abgeleitetes Hauptthema übergeht. Der Seitensatz ist – wie in Raffs Kammermusik üblich – eine ausladende Kantilene, die hier im Cello anhebt. In der Coda verbinden sich das Thema aus der Einleitung sowie ein Überleitungsthema auf breitem Raum. Beim anonymen Rezensenten der Neuen Berliner Musikzeitung hinterlässt der Satz ambivalente Züge: «Es ist viel drin, was nach Laune schmeckt, aber es ist die Laune eines bedeutenden Menschen, der sein Herz ausschüttet und dabei mitunter barocke Formen wählt und krause Gedanken zum Besten giebt.» (26. Jg., Nr. 43, 23.10.1872, S. 339). Dem konzisen, perlenden «Allegro assai» in dreiteiliger Liedform schreibt dieser Rezensent hingegen Humor zu, der durch das idyllische Trio kontrastiert wird – Freudenberg hört auch hier «französische» Züge. Der langsame Satz ist als Variationsfolge über ein gesangliches, melancholisches Thema in F-Dur angelegt, in dem sich die Instrumente in Stimmführung und Figurierungen abwechseln. Nach der Moll-Variation schleicht sich langsam das Capriccio-Thema des ersten Satzes in die schwermütigen Klangwelten. Das Finale beginnt wiederum mit einer langsamen Einleitung, «Larghetto», in der sich das tänzerische Hauptthema des Satzes zögerlich entwickelt, gefolgt von einem fast schon pastoral anmutenden lyrischen Seitensatz. In der Durchführung verarbeitet Raff ein unscheinbar wirkendes Motiv aus der Überleitung zum Seitensatz zu einem gewaltigen Fugato. Mit der Coda schliesst das Werk stürmisch in Moll.

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